INSERT FEMALE ARTIST meets BÄM!-Newsletter September 2021
Unsere Freund*innen und Kooperationspartner*innen von AND SHE WAS LIKE: BÄM! haben uns erneut eingeladen, das Editorial für ihren September-Newsletter zu schreiben. Falls ihr nicht bereits für den Newsletter angemeldet seid, könnt ihr hier noch einmal nachlesen:
Shakespeare trug pfundweise Max Factor Nr. 31
»Wie stellt man sich einen Schriftsteller vor?« – Mit dieser Frage regte die Verlegerin Christiane Frohmann ihre Gäste bei einem Tischgespräch auf der Leipziger Buchmesse 2019 dazu an, über die eigene verinnerlichte Version einer schreibenden Person nachzudenken. Die Mehrheit der Anwesenden beschrieb einen weißen, alten cis-Mann mit grauem Haar. Auf die nächste Bitte, spontan zehn Schriftsteller*innen zu notieren, gerieten alle ins Stocken. Wenigen fielen mehr als eine Handvoll Namen ein. Mit dieser performativen Aufklärung zeigte Frohmann, wie wenig präsent weiblich oder auch nicht binäre Autor*innen weiterhin sind.
Mittlerweile wird an vielen Ecken (häufig auf Twitter) und Enden (häufig im Feuilleton) über die Lage der Autor*in, ihre Framings, ihre Sichtbarkeit und ihre Teilhabe im Literaturbetrieb diskutiert. Berit Glanz und Nicole Seifert zeigten unter dem Hashtag #Vorschauenzählen auf: je renommierter der Verlag, desto kleiner der Frauenanteil. Noch geringer und bisher in keiner Statistik erhoben: der Anteil von Schwarzen Autor*innen, queeren Personen und Schriftsteller*innen of Colour. Die deutsche Buchbranche ist vor allem hinter den Kulissen vorrangig weiß, bürgerlich, binär und heterosexuell. Damit Verlagsprogramme sich nachhaltig verändern, muss sich auf den Hinterbühnen einiges ändern. Elisa Diallo hat Vorschläge, die die fehlende Repräsentation in der hiesigen Verlagsbranche angehen könnte. Und auch Donat Blum fragte neulich sehr kritisch nach, was es denn bedeuten würde, Publishing queer aufzustellen.
In den Frühjahrs- und Herbstprogrammen wundert man sich nicht selten darüber, wie Autor*innen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen inszeniert werden. Männer schrieben Weltliteratur, Frauen* betrieben Nabelschau und so bleiben Autor*innen auch in den Framings durch Bild und Infotext häufig in der Unterhaltung. Wenngleich sich viel tut, liegt die literarische Autorität in unseren Köpfen noch immer bei dem grauhaarigen Schriftsteller. Den wenigen Frauen*, die es zu gleichwertigem Ansehen bringen, wird ins Gesicht gesagt: »Sie schreiben wie ein Mann« – als hätte es keine großen Autor*innen gegeben. Karl Ove Knausgaard antwortet auf die Frage, warum er nicht auf mehr schreibende Frauen* verweist: »No Competition«, und das wäre vielleicht weniger schlimm, wenn es seine Privatmeinung wäre und kein roter Faden, der sich durch die Literaturkritik zieht:
Nicht nur werden im klassischen Feuilleton weiterhin Autoren häufiger und mit mehr Zeichen besprochen. Nicole Seifert veranschaulichte an Beispielen aus der Gegenwartsliteratur die anhalten Misogynie in der Literaturkritik, die literarische Themen, Formen und Stile von Autor*innen mit Süffisanz und Verachtung abkanzelt, sodass man fragen möchte: »Können die Kritiker die ästhetischen Strategien der Autorinnen nicht verstehen, oder wollen sie nicht?«. Seifert las wider der Dude-Wertungen drei Jahre lang ausschließlich Literatur von Frauen.
Am 22. September unterhalten wir uns in Bonn mit ihr über diese Lektüren und ihr Buch FRAUEN LITERATUR (KiWi), dessen Titel auf die abwertende Bezeichnung für Bücher von Autor*innen anspielt, die angeblich weibliche Themen verhandeln und darum von Männern nicht gelesen werden. Frauen* hingegen lesen sowohl Bücher von Frauen* als auch von Männern: »[I]ch dachte: Shakespeare ist ein schwarzes Mädchen«, erzählte die 2014 verstorbene Schriftstellerin und politische Aktivistin Maya Angelou über ihre Lektüre des Shakespeare-Verse aus dem Sonett 29, in denen sie ihr eigenes Leid erkannte. Angelou war jung Mutter geworden und alleinerziehend.
Die schreibende Mutter aber, noch dazu Schwarz, ist in einem männlich dominierten Literaturbetrieb kein populäres Bild. Marcel Reich-Ranickis etwa riet der Autorin Judith Hermann, bloß keine Kinder zu bekommen, weil jede ihm bekannte Schriftstellerin in dem Moment aufgehört habe, Schriftstellerin zu sein. Auch das Fördersystem verkörpert an vielen Stellen ein androzentrisches Weltbild, das den sozial verantwortungslosen Autoren denkt: Etwa in Residenzprogrammen, die keine Kinderzimmer und -betreuungsmöglichkeiten mitdenken oder Kinder gar nicht erst zulassen: »And sorry to tell you that we do not accept little kids as it really troubles other writers who need to concentrate«, lautete die Absage, nachdem sich das Blog-Kollektiv Other Writers Need to Concentrate benannt haben.
Um genderspezifische Rollenzuschreibungen aufzubrechen, gilt es weiterhin weiblich gelesenen, queeren und Autor*innen of Colour zu einer größeren Sichtbarkeit zu verhelfen und stereotype Framings, die ihre Schaffenskraft erfährt, zu problematisieren. Wir müssen geschlechtsbezogene Vorurteile immer wieder sichtbar machen und der ständig stattfindenden Entwertung der Kreativität von weiblich gelesenen Autor*innen – deren Verniedlichung, deren Trivialisierung – entgegenwirken. Es braucht Bücher, wie die von Maya Angelou, die einen zärtlichen Blick auf ausgefallenere Formen von Künstler*innenschaft werfen. Ihr autofiktionaler Roman Was für immer mir gehört (Suhrkamp) nimmt sich dieser so zentralen Themen an, die noch zu unsichtbar im gegenwärtigen Literaturbetrieb sind: Autorin und Erzählerin sind zu früh Mutter geworden, in Kalifornien arbeitet Maya dennoch für ihre Karriere als Tänzerin und das als arme, alleinerziehende, Schwarze junge Frau. Und wenn sie auf ihre Vorbilder schaut, dann erkennt man, dass Shakespeare nicht nur ein kleines Schwarzes Mädchen war, sondern auch noch pfundweise Max Factor Nr. 31 trug.
»Es tat mir leid, dass die Tänzerinnen gingen – diese wundervollen Frauen, nur unwesentlich älter als ich, die pfundweise Max Factor Nr. 31 aufgetragen hatten, künstliche Wimpern trugen und aus dem Mundwinkel redeten, wobei ihre Stimmen sich um Zigaretten wanden, die an ihren Lippen baumelten. Sie hatten ihr Auftreten oft in der Küche unten im Haus geübt. […] Die richtigen Schritte, Gleiten, Springen und Pausieren, und all das die ganze Zeit rauchend. Ich war mir ziemlich sicher, dass man rauchen musste, wenn man in einer Tanzgruppe tanzen wollte.« (Maya Angelou, Was für immer mir gehört, aus dem amerikanischen Englisch von Melanie Walz, S. 11)
Sonja Lewandowski & Svenja Reiner, INSERT FEMALE ARTIST